Mut finden – was wir von „Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“ über innere Freiheit lernen können

Mut finden – was wir von „Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“ über innere Freiheit lernen können

Mut ist ein großes Wort. Viele verbinden damit spektakuläre Taten, laute Entscheidungen oder sichtbare Erfolge. In der psychotherapeutischen Praxis zeigt sich jedoch immer wieder: Mut beginnt meist leise. Er zeigt sich in kleinen inneren Bewegungen – darin, einen Gedanken zuzulassen, ein Gefühl ernst zu nehmen oder einen ersten Schritt zu wagen, obwohl Unsicherheit mitschwingt.

Der Film „Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“ (2013, Regie Ben Stiller) erzählt genau von dieser stillen Form des Mutes. Er eignet sich daher besonders gut, um psychologische Aspekte von Veränderung, Selbstwirksamkeit und innerem Wachstum verständlich zu machen.

Walter Mitty (Ben Stiller) lebt zu Beginn des Films überwiegend in Tagträumen. In seiner Fantasie ist er mutig, entschlossen, bewundert. Im realen Leben dagegen wirkt er angepasst, zurückhaltend, beinahe unsichtbar. Diese Diskrepanz kennen viele Menschen: innerlich reich an Vorstellungen und Wünschen, äußerlich jedoch gebremst durch Ängste, Zweifel oder alte Erfahrungen.

Psychologisch betrachtet erfüllen Tagträume eine wichtige Funktion. Sie helfen, Bedürfnisse zu regulieren, Spannung abzubauen und alternative Selbstbilder zu entwickeln. Problematisch wird es erst dann, wenn Fantasie dauerhaft das reale Erleben ersetzt und Entwicklung verhindert. Walter Mittys Reise beginnt genau an diesem Punkt: Dort, wo die Fantasie nicht mehr ausreicht.

Ein zentrales Missverständnis besteht darin, Mut als stabile Eigenschaft zu betrachten: Manche Menschen seien mutig, andere eben nicht. Die psychologische Forschung zeichnet ein anderes Bild. Mut ist kein Persönlichkeitsmerkmal, sondern ein Prozess.

Mut entsteht, wenn drei Faktoren zusammenkommen:

  1. Angst oder Unsicherheit (ohne Angst braucht es keinen Mut)
  2. ein subjektiv bedeutsames Ziel,
  3. die Entscheidung, trotz innerer Widerstände zu handeln.

Walter Mitty ist nicht plötzlich ein anderer Mensch. Er handelt nicht angstfrei. Er zögert, zweifelt, kehrt innerlich immer wieder um. Genau das macht seine Entwicklung glaubwürdig – und psychologisch realistisch.

Ein zentrales psychologisches Konzept, das sich im Film deutlich zeigt, ist die Selbstwirksamkeit (von Albert Bandura 1977 als Konzept beschrieben). Selbstwirksamkeit bedeutet, auch schwierige Situationen aus eigener Kraft bewältigen zu können.

Menschen mit geringer Selbstwirksamkeit neigen dazu,

  • Herausforderungen zu vermeiden,
  • früh aufzugeben,
  • eigene Erfolge kleinzureden.

Walter startet mit einer geringen Selbstwirksamkeit. Erst durch konkrete Erfahrungen – nicht durch bloßes Nachdenken – verändert sich sein Selbstbild. Jede bewältigte Situation stärkt das Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit. Psychologisch besonders wichtig ist dabei: Selbstwirksamkeit wächst durch Tun, nicht durch Perfektion.

Ein häufiger Irrtum lautet: „Ich muss erst meine Angst loswerden, dann kann ich handeln.“ Der Film vermittelt hier eine wichtige Botschaft, die auch in der Verhaltenstherapie zentral ist: Angst reduziert sich oft durch Handeln, nicht davor.

Vermeidungsverhalten hält Ängste langfristig aufrecht. Wer sich jedoch Schritt für Schritt der gefürchteten Situation nähert, erlebt, dass die befürchteten Katastrophen meist ausbleiben oder bewältigbar sind. Walter Mittys Reise ist eine Abfolge solcher Expositionen – ungeplant, unperfekt, aber wirksam.

Aus psychologischer Sicht formen wir unsere Identität nicht allein durch Selbstreflexion, sondern durch gelebte Erfahrung. Wer wir sind, zeigt sich weniger in dem, was wir über uns denken, als in dem, was wir wiederholt tun.

Walter hört im Laufe des Films auf, sich ausschließlich über Zuschreibungen von außen zu definieren. Er entwickelt ein inneres Referenzsystem: Er weiß zunehmend selbst, wofür er steht. Dieses innere Fundament ist ein zentraler Schutzfaktor für psychische Gesundheit.

Was bedeutet das für den Alltag?

Mut im Alltag zeigt sich selten spektakulär. Er zeigt sich zum Beispiel darin,

  • ein klärendes Gespräch zu führen,
  • Grenzen zu setzen,
  • Hilfe anzunehmen,
  • eine alte Rolle zu verlassen,
  • eine Entscheidung nicht länger aufzuschieben.

In der psychotherapeutischen Begleitung geht es oft nicht darum, große Lebensumbrüche zu erzwingen, sondern tragfähige nächste Schritte zu finden. Mut darf sich langsam entwickeln. Er darf wackelig sein. Er darf begleitet werden.

„Das erstaunliche Leben des Walter Mitty“ erinnert daran, dass ein sinnvolles Leben nicht aus der Abwesenheit von Angst entsteht, sondern aus der Bereitschaft, sich vom eigenen Erleben berühren zu lassen. Mut ist dabei keine Heldentat, sondern eine innere Bewegung hin zu mehr Lebendigkeit.

Wenn du dich an einem Punkt befindest, an dem du spürst, dass etwas in Bewegung kommen möchte, dann ist das kein Zeichen von Schwäche, sondern von Entwicklung. Psychotherapeutische Begleitung kann dabei unterstützen, diesen Prozess achtsam, realistisch und in deinem eigenen Tempo zu gestalten.

Mut beginnt oft genau dort, wo du gerade stehst.

In meiner Praxis begleite ich Menschen, die sich in Phasen von Unsicherheit, innerer Enge oder Veränderung befinden. Oft geht es nicht darum, sofort mutige Entscheidungen zu treffen, sondern zunächst die eigenen Gefühle, Ängste und Bedürfnisse besser zu verstehen.

Ich arbeite ressourcenorientiert und achtsam, mit dem Ziel, innere Klarheit und Selbstwirksamkeit zu stärken. Mut darf dabei wachsen – im eigenen Tempo, ohne Druck und ohne das Gefühl, funktionieren zu müssen.

Psychotherapie kann ein geschützter Raum sein, in dem neue Perspektiven entstehen und erste Schritte möglich werden. Nicht, weil die Angst verschwindet, sondern weil du lernst, ihr mit mehr innerer Stabilität zu begegnen.

Und wenn du jetzt ein wenig neugierig geworden bist, kannst du dir ja vielleicht – frei nach Albert Bandura – von Walter Mittys Mut ein wenig abschauen (Lernen am Modell ;)) und dir die DVD in den Player schieben (oder einen Streaming Dienst bemühen). Ich wünsche dir viel Spaß dabei und werde die Feiertage bestimmt auch noch einmal genau dazu nutzen.

Herzlichst deine

Dörte

 

 

 

 

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