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Prokrastination – Von Schweinehunden und langen Bänken

„Vielleicht putze ich doch noch schnell die Fenster, bevor ich anfange, ich kann mich dann viel besser konzentrieren.“ „Vielleicht finde ich ein noch besseres Thema. Ich sollte noch weitersuchen.“ „Das Wetter ist gerade so schön und wer weiß, wann die Sonne wieder scheint, ich sollte das ausnutzen. Bei Regen ist es ja eh viel besser drinnen zu sitzen.“ „Ich hab noch nicht den perfekten Film gefunden, auf den ich mich in meinem Text beziehen kann. Also kann ich noch nicht anfangen.“ … Kommen dir solche Sätze oder Gedanken auch bekannt vor? Dann bist du genau richtig hier!

 

Was ist Prokrastination? Wikipedia hilft. Prokrastination kommt von dem Lateinischen Substantiv „prokrastinatio“ („Aufschub“, „Vertagung“) und seine Bestandteile, das Präfix pro- und das Substantiv crastinum, -i bedeuten „vor“ bzw. „vorwärts“ und „morgiger Tag“ … Ich finde es irgendwie beruhigend, dass offenbar bereits die alten Römer dieses Phänomen kannten und ein Wort dafür hatten. Heutzutage nennt man es auch umgangssprachlich „Aufschieberitis“ oder „Aufschieberei“ und meint damit die sprichwörtliche lange Bank, auf der unerledigte Dinge ruhen, bis es entweder gar nicht mehr geht oder sie sich von selbst erledigt haben. Prokrastination, das klingt nach der Diagnose eines Dermatologen, oder einer vergleichbaren Profession und ist ein ziemlich sperriger Begriff. Genauso sperrig ist auch das Gefühl, dass einen beschleicht, wenn man prokrastiniert. Es ist oftmals eine Mischung aus Schuldgefühl, Unfähigkeitsbefürchtung, Altersregression und psychischen Lähmungserscheinungen. Dieses kann auch zu somatischen Symptomen führen. Magenschmerzen, ein Druckgefühl auf dem Herzen, Stresssymptomen oder ganz individuelle Ausprägungen können die Folge sein. Auf jeden Fall ist es kein angenehmes Gefühl, wenn wir prokrastinieren. Das Aufschieben allein wäre noch kein großes Problem, wenn wir uns nicht häufig für unsere Aufschieberitis selbst stark verurteilen und abwerten würden. Wir machen uns Vorwürfe, steigern den Stresslevel und unter Umständen auch die somatischen Begleiterscheinungen. Es kommen Gedanken auf, wie: „Andere können das besser, die packen alles sofort an und dann klappt das auch immer.“ „Nur mir geht das so.“ „Ich bin unfähig. Noch nicht einmal das bekomme ich hin.“…

Prokrastination ist laut der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster eine durchaus ernst zu nehmende Arbeitsstörung und kann sowohl private Alltagsaktivitäten als auch schulische, akademische oder berufliche Tätigkeiten betreffen.

Das eigene Verhalten könnte aber natürlich auch anders konnotiert werden, etwa so: „Ich weiß, ich bin so, ich lerne am besten auf den letzten Drücker, das wird zwar dann etwas stressig, aber ich bekomme das letztendlich immer hin.“ Wenn wir es dann schaffen, die so erworbene „freie“ Zeit für andere Dinge, für uns, zu nutzen, ist alles gut und wir können ohne schlechtes Gewissen das Leben genießen. Aber Studien haben gezeigt, dass das leider meistens nicht gelingt, selbst wenn wir wissen, dass wir unseren inneren Schweinehund, der sich gerne und gemütlich auf der langen Bank eingerichtet hat, als treuen Begleiter haben und dass bei jeder größeren Aufgabe immer ein ähnlicher Ablauf von sauberen Fenstern, Selbstvorwürfen, Stagnation und Frustration zu erwarten ist. Trotz allem, immer wieder dasselbe Selbstvorwurfs-Stress-Karussell… Eigentlich doof, oder?

Psycholog:innen sagen, dass es Bereiche gibt, in denen Prokrastination vielleicht sogar recht sinnvoll sein könnte. Wenn es um kreative Prozesse geht, wie beispielsweise das Schreiben, ist es möglicherweise manchmal ganz gut nicht alles sofort in die Tasten zu tippen, oder aufzuschreiben. Das Thema ist ja während des Aufschiebens trotzdem die ganze Zeit im Hinterkopf präsent und kann dadurch fast unbemerkt wachsen oder reifen. Hmmmm, wenn nur die Schuldgefühle, schon wieder kostbare Tage nicht genutzt zu haben, nicht wären… Aber wenn die Aufgabe dann vollbracht, oder der Text geschrieben ist, sind diese negativen Gefühle vergessen, das Belohnungssystem schüttet Dopamin aus und wir können uns auf die innere Schulter klopfen. Vergessen ist der Stress, die Fenster dürfen wieder undurchsichtiger werden und wir nehmen uns vor, dass wir bei der nächsten Aufgabe einfach früher beginnen und strukturierter vorgehen werden… 😉

Die Folgen der Prokrastination sind häufig ähnlich, aber es gibt verschiedene Faktoren, die das Entstehen von Prokrastination begünstigen: zum Einen gibt es Probleme bei der Prioritätensetzung. Man kann sich nicht entscheiden, was in welcher Reihenfolge zu erledigen ist, was das Wichtigste ist. Des Weiteren gibt es Probleme bei der Planung (unrealistische oder mangelnde). Dann auch noch Defizite im Zeitmanagement oder in der Konzentrationsfähigkeit. Vielleicht hat man aber auch generell eine große Abneigung gegen die Aufgabe, die es zu bewältigen gilt, oder schätzt diese und deren Aufwand falsch ein. Oder die Fehleinschätzung liegt bei der eigenen Anstrengungs- oder Leistungsbereitschaft.

Prokrastination kann auch als Teil einer diagnostizierbaren psychischen Störung, wie Depression, Angststörung oder Aufmerksamkeitsdefizit- Hyperaktivitätsstörung (ADHS) auftreten.

In solchen Fällen ist es zunächst angezeigt die zugrunde liegende psychische Störung zu behandeln, um dann die Arbeitsstörung zu beheben. Aber das Aufschieben selbst kann auch wiederum Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden haben und so selbst bei einer Chronifizierung zur Ursache für psychische Belastungen und Symptomen werden.

Aber wann wird Prokrastination denn zu einem Problem? Es lässt sich nicht grundsätzlich festlegen, ab wann das Aufschieben behandelt werden sollte. Das ist eine ganz individuelle Einschätzung. Psycholog:innen sagen, dass Prokrastination pathologisch wird, wenn der Mensch darunter leidet und sie zu Beeinträchtigungen in wichtigen Lebensbereichen führt. Also wenn sie uns daran hindert unseren Alltag gut zu leben und wir Dinge so lange aufschieben, so dass die daraus resultierende Konsequenz uns wirklich schadet.

Wenn du den Eindruck hast, dass du unter Aufschieberitis leidest und sie deinen Alltag und dein Wohlempfinden arg belastet, kannst du dir an verschiedenen Stellen Hilfe suchen. Die Behandlungskomponenten, die sich bewährt haben, sind: Strukturierung des Arbeitsverhaltens, Setzen von realistischen Zielen, Umgang mit Ablenkungsquellen und negativen Gefühlen und das Verändern der bisherigen Arbeitsgewohnheiten. Systematisches Üben des neuen Arbeitsverhaltens ist nötig, um die Prokrastination immer weiter abzubauen.

Man kann aber auch alleine gegen Prokrastination angehen, wenn sie noch nicht pathologisch ist. Es gibt sehr viele gute Tipps, die man an verschiedenen Stellen finden kann. Auf der Plattform Instahelp findet man zum Beispiel ein paar Tipps gegen Prokrastination:

  1. Starte jetzt!!!! Nicht erst morgen, nachdem dies und jenes …
  2. Setz dir Prioritäten!
  3. Plane voraus!
  4. Bleib realistisch! Überlege dir ernsthaft, was du an diesem Tag erledigen kannst. Nimm dir vielleicht lieber etwas weniger als etwas mehr vor! Das Pensum steigern kannst du dann immer noch, wenn es gut läuft.
  5. Lobe dich immer wieder für erreichte Zwischenschritte! Auch das Unterteilen von großen Aufgaben in mehrere kleinere kann helfen, um schneller Erfolge zu haben und damit das interne (und durchaus auch externe) Belohnungssystem zu aktivieren. Denn wir lernen und arbeiten sehr viel besser, wenn wir Lob bekommen, von uns oder von anderen ;).
  6. Gehe Schritt für Schritt vor! Mach dir To Do Listen!
  7. Lass den Druck weg! Frag dich, ob du das überhaupt machen willst, oder kannst, was zu tun ist. Wenn du die Fragen mit „Nein“ beantwortest, schau, ob du sie delegieren kannst.

Genauso kann es helfen externe Reize zu minimieren. Dein Handy weit weglegen und offline gehen, kann schon sehr helfen, da du dann weniger abgelenkt wirst und besser bei der Sache bleiben kannst.

So, und jetzt zum Thema Film. Ich beziehe ja gerne bei meinen Blog-Themen zur Verdeutlichung einen Film in meine Texte mit ein. Wie oben schon angedeutet ist es mir dieses Mal etwas schwer gefallen aus dem reichhaltigen Filmfundus einen Passenden herauszufinden. … Das passt aber ja auch irgendwie zum Thema ;). Gefunden habe ich dann aber tatsächlich doch noch einen. Long Story Short (Regie Josh Lawson, 2021, dt. Und täglich grüßt die Liebe). In diesem Film schiebt Teddy (Rafe Spall) ständig alles Mögliche auf die berühmte lange Bank. Zum Beispiel steht er am Grab seines Vaters und berichtet ihm dort, dass er es endlich geschafft hat, seine langjährige Freundin Leanne (Zahra Newman) zu fragen, ob sie ihn heiraten möchte. Er hatte es ewig aufgeschoben. Teddy bedauert sehr, dass sein Vater die Verlobung dadurch nicht mehr erlebt hat… Damit beginnt die eigentliche Handlung des Films. Eine Frau hört Teddys Worte an dessen Vater und rät ihm jetzt sofort einen Termin für die Hochzeit zu machen und in Zukunft nichts mehr auf die lange Bank zu schieben, sonst würde sein Leben an ihm vorbeirasen… Nachdem Teddy zumindest das mit dem Hochzeitstermin geschafft hat, findet er unter den Hochzeitsgeschenken eine verschlossene Konservendose mit dem Hinweis, diese erst am 10. Hochzeitstag zu öffnen. Daraufhin gerät Teddy in ein merkwürdiges Zeitparadoxon. Er findet sich Jahr für Jahr immer an seinem jeweiligen Hochzeitstag wieder, weiß aber nicht, was in dem vergangenen Jahr alles passiert ist. Sein Leben rast quasi im Zeitraffer an ihm vorbei und in seinem Leben und seiner Beziehung geht alles Mögliche schief, weil er sich offenbar noch immer nicht wirklich entscheiden kann und weiterhin Dinge auf die lange Bank schiebt. …Naja, die Moral von der Geschicht‘: Schiebe nichts auf, sonst verpasst du alles und alles geht schief! Kleiner Spoiler, die merkwürdige Konservendose war natürlich von der Frau auf dem Friedhof. Teddy öffnet die Dose an seinem 10. Hochzeitstag und der Fluch ist beendet. Teddy kann am Ende normal zu seinem ersten Hochzeitsmorgen zurückkehren und sofort Dinge erledigen (Hochzeitsreise buchen, seinen Job, der ihn an seiner Traumerfüllung hindert Fotograf zu werden, kündigen etc etc.). Als Film würde ich ihn nicht unbedingt empfehlen, die Message ist ein wenig zu bemüht.

Also, wenn du vielleicht einen passenderen oder sehenswerteren Film kennst, schieb es nicht auf die lange Bank, sondern schreib mir gerne ganz schnell eine E-Mail an info@doerte-kaussmann.de! Ich würde mich sehr über einen Tipp freuen.

Aber auch wenn du keinen Filmtipp hast, hoffe ich, dass du aus dem lateinischen „Vorwärts am morgigen Tag“ dir einfach das „Vorwärts“ nimmst und immer dann, wenn es für dich geht, loslegst!

In diesem Sinne herzlichst,

deine Dörte

 

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